Anmerkungen zu vier Filmen
Michelangelo Antonionis
Hausarbeit im Rahmen der Veranstaltung:
Das Schwanken des Sinns – Michelangelo Antonionis Filme
Geleitet von Bernd Kiefer
Im Wintersemester 2001/2002
In der Johannes-Gutenberg- Universität Mainz
Inhalt
1.
Alles ist Liebe, das Universum ist nur Liebe
Den Umständen entsprechenden Gefühlen – Chronik einer Liebe
Die Welten der beiden Hauptfiguren
Der Umgang mit den Störfaktoren
Cronaca di un amore (1950, Chronik einer Liebe)
2.
Die sonnige Wüste
Der Kampf zweier Seelen in Zabriskie Point
Im Sumpf
Mutige Herzen
Die Unterdrückung der Liebe
Zabriskie Point (1970, Zabriskie Point)
3.
Beruf Reporter
Ein Segen oder ein Fluch?
Ein Film über den Filmemacher
Die drei untersuchten Spielfilme
Professione: reporter (1975, Beruf: Reporter)
4.
Da wo alles anders ist
Antonionis China
Chung Kuo-Cina (1972, Antonionis China)
5.
Alles noch mal von vorne…
Einleitung
Du kannst das Fell des Tigers zeichnen
doch nicht seine Knochen.
Du kannst das Antlitz eines Menschen zeigen
doch nicht sein Herz.
Chinesisches Sprichwort
Aus: Chung Kuo-Cina
1.
Alles ist Liebe, das Universum ist nur Liebe
Den Umständen entsprechenden Gefühlen – Chronik einer Liebe
Antonioni erzählt von einer gescheiterten Liebe. Eine Liebe um die zwei Menschen gekämpft haben. Er zeigt auf warum die Liebe scheitert. Er erzählt detailliert von den Faktoren welche die Liebe haben scheitern lassen. Indem er die Störfafaktoren genau benennt, macht er dem Zuschauer bewusst, warum die Liebenden am Ende nicht zueinander finden. Indem er davon erzählt, erzählt Antonioni nicht von der Ausweglosigkeit der Liebe im allgemeinen. Er erzählt vor allem von den Gefahren welchen die Liebe sich konfrontiert sehen kann. Er erzählt davon wie die Figuren mit diesen Gefahren umgehen und vor allem erzählt er von den Problemen die sie dabei haben. Das die Liebe am Ende scheitert kann ich nicht als Aufforderung zur Resignation deuten. Ich verstehe es viel mehr als eine Aufforderung an den Zuschauer gestärkt gegen die störenden Faktoren anzugehen – die Dinge zu erkennen, die sich zwischen die Liebe der Beiden gestellt haben und diese Erfahrung auf das eigene Leben anzuwenden. Er möchte das Publikum sensibilisieren, auf sanfte Weise wach rütteln. Wachsam den Gefahren der Liebe entgegenzutreten. Ich glaube Antonioni möchte das sich der Zuschauer nach dem Film bewusst macht: Wären die Figuren des Films wachsamer gewesen, so hätten sie eine Chance gehabt. Oder etwas ähnliches was schwer in Worte zu fassen ist. Mit dieser Erkenntnis – ob sie nun bewusst oder unbewusst erfolgt, vermag der Zuschauer, nachdem er kein Zuschauer mehr ist, seinem eigenen Leben wacher gegenüberzutreten. Ich denke der Film ist daher eine Ode an die Liebe. Dies ist er, da er sich konsequent gegen die Störfaktoren der Liebe stellt. Antonioni ruft damit auf gegen diese Störfaktoren anzugehen indem man sich dessen bewusster wird. Antonioni wollte die Welt nicht anklagen, er wollte sie zeigen. Indem er sie zeigt, zwingt er den Zuschauer selbst die Welt anzuklagen. Die Welt in der die beiden Figuren leben. Und da der Zuschauer den Film stets im Kontext seines eigenen Lebens wahrnimmt – auch die Welt des Zuschauers. Manche mögen das Ende dahingehend verstehen, dass ein Kampf gegen die Störfaktoren als ausweglos erscheint, jedoch denke ich das sie das Gegenteil erzeugen sollen. Der Zuschauer soll sich fragen, ob nicht vielleicht doch ein glücklicheres Ende möglich gewesen wäre.
Um meine Meinung diesbezüglich zu bekräftigen möchte ich nun zusammenfassend die Gefahren welche der Liebe im Wege stehen darstellen. Darüber hinaus untersuche ich wie die beiden Figuren mit diesen Gefahren umgehen beziehungsweise nicht damit umgehen können. Zudem möchte ich mich auf Spekulationen einlassen warum Antonioni davon erzählt, wovon er erzählt. Mir ist wohl bewusst das dies nicht eindeutig zu belegen ist – zum Glück. Ich sehe es als Darstellung wie ich auf den Film reagiert habe und reagiere.
Die Welten der beiden Hauptfiguren
Die beiden Hauptakteure haben es über die Jahre geschafft, in völlig verschiedene Welten einzutauchen. Paola heiratete überhastet einen reichen Mailänder Geschäftsmann. Sie gewöhnte sich an den damit verbundenen Luxus und an die umgebende gehobene Gesellschaft. Guido wurde nach dem Krieg entwurzelt, hat Geldprobleme und weiß nicht so recht wohin mit sich. Die beiden Welten trennten sich mit einem Ereignis: mit dem Tod von Guidos Verlobter. Beide haben sich diesen Tod erwünscht und ihn nicht verhindert. In einem Moment gemeinsamer Stille wurden sie sich dessen bewusst. Schockiert darüber reagierte Paola mit dem Beschluss, sie wolle Guido niemals wiedersehen. Schon hier war es Guido der Gefühle in Paola auslöste, welche sie sich nicht eingestehen konnte. Die bis dahin vorhandene Leichtigkeit des Lebens, von der ihr ehemaliger Trainer spricht, ist von nun an Vergangenheit. Sie befindet sich in einer Welt die von Oberflächlichkeit bestimmt wird. Dies äußert sich in ihrer vornehmen Kleidung, den Gespräch mit ihren Bekannten und vor allem in der Beziehung zu ihrem Mann. Keiner Person kann sie ihren wahren Gefühle anvertrauen. Sie entschuldigt sich mit Unwohlsein, Kopfschmerzen oder „völligem Fertigsein“. Dies dient zur klaren Distanzierung zu ihren Mitmenschen. Über Guidos Welt erfahren wir nicht allzuviel. Wir wissen das er im Krieg war und sich seinen Lebensunterhalt nur spärlich verdient. Seine Welt wird vor allem durch den Kontrast zu der Welt Paolas definiert: simple Hotels im Vergleich zu ihrer feinen Kleidung, graue Kleidung im Vergleich zu ihrem kontrastreichen Outfit, sein Fortbewegungsmittel: die Strassenbahn während sie sich ohne weiteres einen Ferrari wünscht. Zudem werden die Unterschiede zwischen den beiden durch Bildgestalterische Mittel verdeutlicht: oft trennt die beiden ein Tor, ein Gitter oder durch die unterschiedliche Struktur der Wände vor dem die beiden stehen.
Da die beiden in solch unterschiedlichen Lebenssituationen sind, fällt es ihnen sehr schwer zueinander zu finden. Damit deutet sich schon das Grundproblem an: der Unterschied der sozialen Umgebung verhindert ein einfaches Zueinanderfinden. Und dennoch sehnen sie sich nacheinander. Auf einer gewissen Ebene besteht auch tatsächlich ein Verbindung: die Sehnsucht aus ihren Welten auszubrechen. Dies wird an vielerlei Stellen deutlich. Zum Beispiel: Nachdem Paola vergebens versucht hat Guido zu erreichen und ihm die Bitte so bald wie möglich zurückzurufen hinterlassen hat, wird durch ihr Verhalten deutlich gemacht, welche Opfer sie erbringen muss um wieder ihr Lebensumfeld einzutreten: Sie opfert ihre Offenheit und Leichtigkeit. Bevor sie den Raum mit dem Telefon verlässt, den ich als Zugang zu einer gemeinsamen Welt mit Guido ansehe, richtet sie betont ihre Haare. Sie wirft sich in ihre Schale, eine Fassade. Sie entschließt sich die Tür offen stehen zu lassen, nachdem sie sie beinahe geschlossen hätte. Sie möchte sich den Zugang zu der Gefühlswelt nicht völlig verstellen. Es besteht die Gefahr, das der Ruf welcher sie in ihre Gefühlswelt zurückrufen möchte zu leise erklingt, nicht in ihr Bewusstsein dringen kann. Anschließend befindet sie sich wieder in ihrer feinen Gesellschaft – jedoch findet sie nur begrenzt Zugang zu ihr. Zigaretten bieten Ersatz für ihre Sehnsucht. Sie betrachtet die Karten in der Hand und verspricht sich: sie sagt sie hat 2 Pik-Karten, meint aber eigentlich Herz. Die „pikene“ Welt in der sie sich befindet, welche sie um sich herum wahrnimmt wird klar als begrenzt nicht wirklich herzlich oder zufriedenstellend beschrieben: eine Dame zerdrückt förmlich ihren Hund mit ihrer Liebe. Zum anderen: ein Gespräch über ein Geschenk für eine Bekannte beginnt mit dem Vorschlag, dass es ein Goldtäschchen sein sollte. Als man einsehen muss das die betreffende Person sich viel lieber eine Brieftaube wünscht, so soll sie aber dennoch unbedingt mit Gold verziert durch die Lüfte fliegen. Freiheit und Leichtigkeit gehen in dieser Welt verloren. Was zählt ist der oberflächliche Glanz.
Fühlt sich Paola zwar in dieser Welt erledigt und nicht völlig zufrieden, so kann sie sich dieser Welt jedoch nicht völlig entziehen.
Ein Beispiel für die Verbundenheit der beiden unterschiedlichen Welten ist der Einsatz der Zigaretten: Als Guido Paola anruft um mit ihr ein Treffen auszumachen, raucht er und ebenso greift auch sie zur Zigarette. Bei einem späteren Telefonat wird die Verbindung noch deutlicher: noch bevor Guido ihre Nummer gewählt hat, wacht Paola aus ihrem Schlaf auf und greift nach dem Hörer des Telefons.
Das die Verbindung der beiden Welten jedoch von einem dunklen Schatten umgeben ist wird nicht nur auf der Ebene des Dialogs deutlich. Die beiden müssen sich in einem finsteren Planetarium verabreden, wo sie die Gefahr auch deutlich zu spüren scheinen. An anderer Stelle begibt sich Guido durch nur einen kleinen Schritt (rückwärts!) in völlige Dunkelheit als er Paola am Telefon eingestehen muss er sie nicht verlassen kann. Wenn die Bedrohung der Verschmelzung der Welten am hellichten Tage dargestellt wird, geschieht dies zum Beispiel durch „Rocky“, einem Bekannten und Verehrer in Paola Umfeld. Und Rocky trägt einen schwarzen Anzug und schwarzen Hut. Die ständige Bedrohung, welche die Beziehung der beiden erschwert; lassen ein Zueinanderfinden als wahnsinnig schwieriges Vorhaben werden.
Und wenn dies doch geschieht, dann nur für wenige Augenblicke. Denn sofort werden sie wieder von ihren Lebensumständen eingeholt. Sie können sich für einen Augenblick im Wagen einander hingeben, jedoch folgt kurz darauf die notwendige Trennung da Paolas Mann zurückkehrt. Immer wieder folgt nach der kurzen Verschmelzung beider Welten die notwendige Trennung. Nach einem gemeinsamen Abenteuer in Guidos Hotel muss Paola mit ihrem Mann schlafen, obwohl dies ihr Ekel bereitet. Das Wiedereindringen in ihre Welt führt zu Verzweiflung. Nicht nur zu Verzweiflung darüber, dass es so schwer scheint mit Guido glücklich zu werden, sondern vor allem auch Verzweiflung darüber, wie unglücklich sie sich in ihrer Welt fühlt. Paola kennt nur noch zweckbestimmte Bekanntschaften. Dementsprechend faucht sie auch die Angestellten des Hauses an. Auf einen Gruß des Chauffeurs antwortet sie „Ich brauche sie nicht mehr.“ Wie die beiden mit dieser Verzweiflung umgehen führt zu dem unglücklichen Ende des Films. Antonioni richtet dabei vor allem das Augenmerk auf die weibliche Hauptfigur. Immer wieder wird deutlich gemacht wie unwohl und unglücklich sich Paola mit ihrem Mann und ihrem Leben fühlt. Das sie ihre eigentliche Wünsche und Träume aufgegeben hat wird auch damit dem Zuschauer bewusst gemacht, das man sie im Telefon unter dem Namen Enrico Fontana erreichen kann. Derartige Bemerkung gibt es unzählige. Auch Guido wird als verzweifelt und unzufrieden gezeigt. Er klagt über seine soziale Stellung und bewundert aus dieser Stellung die „rassische“ Paola und fragt sie, wie sie das nur geschafft hat. Beide gestehen sich offen ein, unglücklich zu sein. Doch wie gehen sie die Bekämpfung des Unglücks an? Zumindest auf eine Art und Weise in der sie nicht gemeinsam zu Glück kommen können.
Der Umgang mit den Störfaktoren
„Ein bisschen Ruhe. Ein bisschen Freude – ohne an etwas zu denken, wie schön wäre das…“ stellt Paola in einem Augenblick fest. Loslassen von ihrem Leben. Von ihrem Unglück. Jedoch bringt sie den Mut nicht auf ihre Welt völlig loszulassen und den Versuch zu starten sich in einer neuen Welt neu zu finden. Sie hat sich an ihren Luxus gewöhnt und möchte ihn nicht mehr missen. Sie kann sich nicht klar zwischen Guido und Enrico entscheiden. Sie möchte mit Guido zusammensein aber die Vorzüge ihrer Ehe nicht aufgeben. Da sich, wie sie sagt, das Geld für Enrico Fontane entschieden hat, möchte sie ihn nicht verlassen. Jedoch empfindet sie Ekel gegen ihren Ehemann. Als Ausweg wählt sie die Katastrophe: die Tötung ihres Mannes. Sie erkauft sich Guido. Sie benutzt ihn um ihren Plan durchzuführen um dadurch selbst so wenig wie möglich Gefahren ausgeliefert zu sein. Mit dieser Entscheidung wird die Beziehung zwischen Paola und Guido zukunftslos. Guido wird sich dies am Schluss des Filmes bewusst, nachdem Paola ihm die alleinige Schuld zugeschoben hat. Die Beziehung ist zu Ende. Paola merkte als sie Guido wiedersah, wie unglücklich sie eigentlich mit Enrico ist. Als sie dagegen angehen wollte und sich dabei Probleme auftaten, schob Paola alle Schuld auf Guido. Als wäre er es der sie unglücklich machen würde, da er ihr ihr Unglück vor Augen hält.
Woran ist die Beziehung nun gescheitert? Beide fühlten sich voneinander sehr angezogen. Als sie sich seit Jahren wiedersehen bewundern sie sich gegenseitig. Guido fühlt sich von der Rassenhaftigkeit Paolas angezogen. Auch Paola merkt an das die Begegnung nicht ohne Wirkung bleibt. Wenig später gestehen sie sich ein, dass sie all die Jahre nur aufeinander gewartet haben. Das Problem an der ganzen Sache ist nur: beide (vor allem aber Paola) haben nicht den Mut sich völlig auf ihre wiedererwachten Gefühle (oder ihre Liebe) einzulassen. Paola kann sich nicht konsequent auf Guido einlassen, weil sie nicht aus ihrer Welt austreten will. Zu sehr hat sie sich an den Glanz der Oberflächlichkeit gewöhnt. Wie eine Süchtige hängt sie an dem Glanz des Goldes. Anstatt sich auf ihr Glück mit Guido einzulassen, klammert sie sich an die scheinbare Befriedigung die ihr die materielle Welt ihres Mannes bietet: schöne Kleider, teuere Autos und immer wieder Zigaretten.
Doch es gibt auch andere Beispiele von Charakteren in dem Film. Joy stellt so etwas wie das verkehrte Spiegelbild Paolas dar. Sie hat eine Beziehung zu einem verheirateten Geschäftsmann. Sie redet offen und ehrlich über ihre Gefühle und lebt danach. Sie betrachtet ihre Beziehung mit naiver Klarheit und geht den Weg ihres Herzens. Zudem kann sie ihre Individualität klar erkennen in dem Sumpf des materiellen Scheins. Beruflich trägt sie den Glanz der Schönheit und des Geldes zwar zur Schau, jedoch kann sie privat davon wieder Abstand nehmen und beruft sich dann auf ihre inneren Gefühle und Sehnsüchte. Damit stellt sie den Gegenpol in dem Film dar. Würde auch Paola mehr auf ihre Gefühle hören und sie gegen die materialistische Welt aufrechterhalten, sich weniger in Ersatzbefriegdigung flüchten, so hätte ihre Beziehung zu Guido durchaus eine Chance.
Antonioni malt die Liebe nicht schwarz oder sinnlos. Es ist die Umgebung, das soziale Umfeld die es der Liebe schwer machen. Nicht nur der Liebe, sondern der gesamten Gefühlswelt des Einzelnen. Antonioni erzählt von dem Ringen des Einzelnen in der Masse. Paola steht zwischen den Fronten. Zum einen spürt sie ihre Zuneigung zu Guido, zum anderen sieht sie sich den Verlockungen des Geldes ausgeliefert, denen ihr gesamtes Umfeld bereits schon völlig verfallen ist. Gerade zu grotesk oberflächlich muten manche der belanglosen Unterhaltungen an. Es ist Paola nicht möglich ihren Gefühlen nachzugehen. Wenn es ihr gelingt, dann nur punktuell. Sie bringt nicht die Kraft auf, sich der Liebe Willen dem glänzenden Schein des Geldes abzusagen.
Antonioni erzählt bereits in seinem ersten Spielfilm über ein Thema, das auch spätere Werke kennzeichnet. Ich möchte exemplarisch zwei weitere Spielfilme betrachten, welche den stattfindenden Konflikt in Paola sozusagen verlängern oder vertiefen. In Zabriskie Point bietet Antonioni eine Lösung auf wie mit den Störfaktoren oder den materiellen Verlockungen umzugehen ist und inProfessione: reporter blickt Antonioni ein wenig über den Rand der industriell-kapitalistischen Gesellschaft heraus und erzählt von einem Menschen der versucht von fremden Kulturen zu berichtet. Einen abschließenden Blick möchte ich dann auf Antonionis Dokumentarfilm Chung Kuo-Cina werfen. Auch und gerade hier wird der Konflikt zwischen Individuum und Masse betrachtet.
2.
Die sonnige Wüste
Der Kampf zweier Seelen in „Zabriskie Point“
Viel expliziter wird die Welt in Zabriskie Point als kapitalistisch verseucht dargestellt. Das hat auch zur Folge, dass die Hauptfiguren expliziter damit jonglieren müssen. In diesem Film befinden wir uns in Amerika in den Sechzigern. Zabriskie Point beobachtet ein weiteres Pärchen. Ein Pärchen das versucht sich aus dem Werbesumpf zu entwinden.
Im Sumpf
Wir befinden uns in einer Studentenstadt. Die Studenten revoltieren gegen die politischen und wirtschaftlichen Zustände. Und sie haben allen Grund dazu: Rassismus und mangelnde Grundrechte stehen auf der Tagesordnung. Der Mensch verschwindet vor dem Hintergrund der Werbetafeln. Auf den Werbetafeln wird die Individualität entlehrt. Als markantestes Beispiel wird die Entwicklung eines Werbespots beobachtet, welcher die „Sunny Dunes“ Häuser promovieren soll. Diese Gebäude sollen in der Wüste erstellt werden. Dort wird das Land urbar gemacht und somit selbst die letzten menschenunfreundliche und somit menschenfreie Gebiete der Welt besiedelt und entnaturisiert. Die Kunden sollen dem Stress der Stadt entfliehen und in die Wüste ziehen. Dort ist alles ruhig und man kann Golf spielen und seinen Garten bewässern – eben unabhängig sein. Schön das es einen Ort wie die Wüste gibt. Oder: noch gibt. Denn Hochrechnungen der Firma erwarten einen Bevölkerungsboom in der Wüste. Die letzen Gebiete des Rückzugs verschwinden. In den Nachrichten hören wir zwei Meldungen in einem Atemzug: das 50.000 US Soldaten in Vietnam starben sowie das ein Schnellstrassenbau 50.000 Menschen (Individuen) zwingt ihre Wohnung zu verlassen. Nachdem die Menschen ein Gebiet besiedelten, folgte somit der nächste Schritt: die Entmenschlichung: Maschinen vertreiben die Menschen. Also müssen die Menschen in die Wüste, wo sie die Natur vertreiben. Oder sie gehen nach Vietnam um andere Menschen zu bekämpfen. Kurzum: Der Kapitalismus breitet sich immer weiter aus und erobert die letzten Flecken Erde. Sowohl in den letzten Gebieten der Erde wird die amerikanische Flagge gehißt als auch in immer mehr Herzen. Wird die Wüste massenbesiedelt, sind die mageren natürlichen Ressourcen sofort weit überstrapaziert. Ebenso leiden die Herzen die in den Sumpf des Kapitalismus fallen und nicht mehr die Kraft und den Mut aufbringen dagegen zu wirken. Zudem taucht in Dialogen die Entindividualisierung immer wieder auf, der Polizeibeamte findet das „Ausserorderntlicher Proffessor für Geschichte“ zu lang sei und ordnet ihn in die Kategorie „Lehrer“ ein. Ein weiteres Beispiel stellt der Chef der Sunny Dunes dar, der sich nicht mit seinem Namen vorstellt sondern sagt, „Hier ist die Sunny Dunes Company“. Das Persönliche geht aufgrund des Marktes verloren. Die Menschlichkeit verschwindet allmählich. Dies macht Antonioni auch wunderbar durch Bildgestaltung deutlich: Menschen werden von Gegenständen und Gebäuden an den Bildrand gedrängt.
Mutige Herzen
Antonioni konzentriert sich in Zabriskie Point auf zwei Hauptfiguren: Daria und Marc. Daria arbeitet zeitweise als Sekretärin bei bereits erwähnter Firma Sunny Dunes. Jedoch identifiziert sie sich nicht mit ihrem Beruf. Vielmehr sieht sie ihn als ein notwendiges Übel an. Wenn es ihr zu viel wird, entflieht sie dem Alltag: Sie fährt mit dem Auto in die Wüste. Um die Ruhe der Umgebung zu genießen und zu meditieren – ganz ohne ein Sunny Dunes Haus. Wie sie so durch die Wüste fährt, verschmilzt sie förmlich mit ihrer Umgebung. Sowohl Auto, Kleidung als auch Haare bilden keinen Kontrast zu der sandfarbigen Landschaft. Dazu erklingt die ruhige Autoradiomusik. Diese Bilder stehen im deutlichen Kontrast zu den zuvor gezeigten hektischen Bildern der Stadt: komplexe Strassenkreuzungen aus der Luft gefilmt, abertausende Werbeschriften und uniformierte Geschäftsmänner. Daria entflieht bewusst der materialistischen Welt.
Die zweite Hauptperson ist Marc: ein Student der ebenfalls seinen eigenen Weg geht. Auch er ist der Stadt und der militanten Politik überdrüssig. Er verweigert sich einer revoltierenden Studentenvereinigung da er in ihr kein Potential für Veränderung sieht. Als Ausweg wählt auch er die Flucht: er stiehlt ein Flugzeug und überfliegt die Wüste.
Wie durch einen magischen Zufall treffen die beiden aufeinander. Sie verbindet ihre Flucht vor der kommerziellen Welt. Und beiden gelingt die Flucht. Diese Flucht vereint die zwei Menschen. In einem Akt in der Wüste berufen sich die beiden auf ihre tiefen Gefühle. Hier, in der Wüste, können sie sich finden und ihren Gefühlen Freiheit verschaffen. Diese Liebesszene inszeniert Antonioni wie eine Welt in der die Gesetze aufgehoben scheinen: Plötzlich sind die beiden nicht mehr allein, sondern viele Paare tun es den beiden gleich. Jenseits des kommerziellen Wahnsinns, jenseits aller Stadtmauern und Geschäftsdenkens finden die Menschen zueinander und zu dem was sie wirklich glücklich macht: Zwei Seelen haben sich gefunden.
Antonioni liefert mit diesen Szenen oder vielmehr mit diesem Film einen Vorschlag für eine Art Lebensphilosophie. Er bittet beinahe seine Zuschauer bewusster zu leben und zu genießen. Er stellt die materialistische Welt als begrenzt und phantasielos dar. In dem er uns zwei Menschenseelen zeigt, die es schaffen dem zu entfliehen, gibt er Hoffnung. Hier haben es zwei Menschen geschafft, das ihre Gefühle bedeutsamer sind als die alltäglichen Verlockungen der Werbepolitik. Aber Antonioni wird im Verlauf des Films noch deutlicher.
Die Unterdrückung der Liebe
Zwei Liebende haben es schwer. Sehr schwer sogar. Noch berauscht von ihrem Glück erschüttert sie der Wiedereintritt in die harte Realität Amerikas. Unmittelbar nach ihrem Liebesereigniss werden die beiden von einem Polizisten behelligt. Nachdem Marc beschlossen hat das Flugzeug zu seinem Besitzer zurückzubringen, bemalen sie es farbenfroh und phantasievoll. Die Aufschrift „No Words“ soll alles sagen und den Besitzer zum Nach- und Umdenken anregen. Die beiden möchten ihre innere Welten nach außen zeigen und mit anderen teilen. Dies funktioniert jedoch nur mit Mitmenschen, die bereit dazu sind dies aufzunehmen. Die bewaffneten Polizeibeamten die Marc am Flughafen mit Pistolen begrüßen haben für derartiges jedoch keinen Zugang. Marcs Wiedereintritt (zumindest physisch) in die Gesellschaft endet in der Katastrophe: er wird von einem Polizisten erschossen. Das Sicherheitspersonal zerstört den Traum der Liebe. Als Daria das über das Radio erfährt ist sie erschüttert. Und sie weiß was zu tun ist: In Gedanken sprengt sie symbolisch ein luxuriöses Hotel mehrmals in die Luft. Damit wird Antonioni mehr als deutlich: Daria wehrt sich gegen den materialistischen american way of life. Sie erkennt das zerstörerische Potential des Kapitalismus und beschliesst für sich dem entgegen zu wirken. Kritiker Antonionis mögen ihm vorwerfen Anarchie oder Terrorismus zu befürworten. Jedoch tun sie ihm damit Unrecht. Daria zerbombt in ihrem Inneren die Macht des Konsums. Sie wehrt sich dagegen sich von Werbung und Konkurenzdenken manipulieren zu lassen. Und Antonioni schlägt vor ihr auf diesem Weg zu folgen.
Zusammenhang zwischen Cronaca di un amore und Zabriskie Point
Es ist doch so klar wie es verborgen ist. In beiden Filmen geht es darum, inwieweit das Individuelle eines Individuums von dem Kollektiv gefährdet wird. Paola flüchtete in eine gehobene Gesellschaft – in die materialistische Welt. In dieser Umgebung verlor sie die Fähigkeit nach ihren Gefühlen zu handeln. Aus diesem Grund scheitert sie auch als sie den Drang danach verspürt auf ihre Gefühle zu hören. Als sie Guido wieder sieht hat sie den Drang ihr Leben zu verändern. Anstatt einfach mit ihm in die Strassenbahn zu steigen – klammert sie aber zu sehr an ihrem Pelzmantel und den anderen teuren Schmuckstücken. Die wären dann ja weg, wenn sie weg ginge. Da steht also Guido gegen das Geld Fontanas. Oder anders formuliert: ihre Liebe gegen ihre Geldgier. Paola schafft es nicht sich von den materiellen Verlockungen zu lösen.
Wenn Paola die schwache Frau ist, so ist Daria die Starke. Klar erkennt sie die Teufelsfalle ihrer Firma und entflieht in die Einsamkeit der Wüste. In dieser Einsamkeit genießt sie die einmalige Zweisamsamkeit mit einem Gleichgesinnten. Alles wäre schön, wenn es doch nur die Welt ihnen gleichtäte und es die Wächter der Politik in Form von bewaffneten Polizisten nicht gäbe. Die nämlich zerstören mit Gewalt Darias Liebe. Daria im Gegenzug findet es notwendig die Strukturen des Bösen zu zerstören. Da es ihr aber nicht wirklich hilft wenn sie ein Hotel in die Luft sprengt sollte man das so deuten, das sie gegen alles vorgehen will was ihren Gefühlen im Wege steht – und das – so glaube ich kann nur im inneren eines jeden Einzelnen passieren.
Antonioni erzählt in beiden Filmen davon, was dem Glück eines jedem im Wege steht: nämlich die Beeinflussung zum materialistische Denken. Gar nicht so sehr die Sunny Dunes, sondern nur der Wunsch in einem solchen Haus zu wohnen. Die Helden des Films finden sich dem ausgeliefert. Die Verlockungen sich das scheinbare Glück zu kaufen sind stets präsent. Schafft es der Held zu erkennen, das Glück nicht kaufbar ist sondern ganz einfache scheinbare belanglose Dinge bedeuten? Fest steht: die Vertreter der kapitalistischen Strukturen reden uns aus, das es einfach ist glücklich zu werden. Die Menschen hinter den Werbefirmen grübeln wochenlang über einen Spruch oder einen Spot nach, wie er wohl am überzeugendsten wäre. Er muss uns überzeugen, das es nicht glücklich macht nur einfach so in die Wüste zu fahren und Sex zu haben. Viel glücklicher ist die Frau, wenn sie den reichlichen Platz der Sunny Dunes Küche in der Wüste haben kann um für den Sohn und den Herren des Sunny Dunes Hauses kochen zu können. Um diesen Zwiespalt geht es (unter anderem) in den beiden Filmen: Berufe ich mich auf mein Inneres oder lasse ich zu das die materielle Welt mein Denken und Handeln bestimmt.
Dieser Zwiespalt lässt sich ernsthaft nur in Gesellschaften untersuchen die kapitalistisch sind oder eine Tendenz dazu entwickeln. Um der Thematik eine weitere Dimension zu bieten möchte ich nun noch auf zwei weitere Filme Antonionis eingehen. Was wenn ein Individuum welches im Kapitalismus sozialisiert wurde in eine kulturell fremde Landschaft und Gesellschaft geht. Dieser Frage nähert sich Antonioni in Beruf: Reporter an.
3.
Beruf: Reporter – Ein Segen oder ein Fluch ?
Den Film Professione: reporter kann man – wenn man das will – dazu benutzen um die zuvor beschriebenen Gedanken weiterzuspinnen. Ich möchte das im nun Folgenden tun. Jack Nicholson spielt die Rolle des Zerbrochenen:
David Locke ist Fernsehjournalist in England. Wir erfahren, das er einen Fernsehfilm für BBC über Afrika erstellen will. Wenn man bedenkt, dass ein Fernsehfilm im Schnitt nicht länger als eine, maximal zwei Stunden ist, dann ist das von Beginn an eine schwierige Aufgabe. Einen Dokumentationsfilm über Afrika. Nicht über ein Land in Afrika oder eine Ethnie oder einen Teil Afrikas, sondern über den riesigen Kontinent insgesamt. Zu Beginn des Films (Antonionis) befindet er sich (vermutlich) im nordwestlichen Teil des Kontinentes. Ein Europäer der in Amerika aufgewachsen ist kommt mit seinem Geländewagen in eine Stadt im Norden Afrikas. Die ersten Bilder machen uns klar: er hat und findet keinen Zugang zu der ihm fremden Kultur. Er betritt einen Laden, worauf die daringewesenen Afrikaner die Flucht ergreifen – ruhig aber zielstrebig. Etwas besseres als Zigaretten zu verschenken fällt Locke zu diesem Zeitpunkt nicht ein. Noch kann er sich in seinen Geländewagen flüchten. Doch das Automobil was ihn von den gewöhnlichen Afrikanern abhebt und irgendwie Schutz bietet gerät auch an die Grenzen dessen Belastbarkeit. Im tiefen lockeren Wüstensand muss sich Locke von seinem schutzbietenden Metallkonstrukt verabschieden. Um Wut abzulassen und um sich zu trösten schreit er in den Himmel das es ihm egal sei. Nun muss Locke also zu Fuß durch das Land gehen. Jedoch bleibt er weiterhin in seinen programmierten Konventionen. Er hat nicht die Fähigkeit sich den lokalen Begebenheiten anzupassen. Ja er startet nicht einmal einen Versuch dahingehend, da er nicht auf die Idee zu kommen scheint. Deutlich wird das zum Beispiel bei seiner Wahrnehmung von Wasser. Halb verdurstet kommt er in seinem Hotel an, haucht einen Mitarbeiter an, dass er Wasser bräuchte, als sei es das höchste Gut auf Erden. Was es ja auch tatsächlich ist in der Umgebung der Wüste. Jedoch kann er anscheinend keine Parallelen zwischen dem Trinkwasser das er von dem Mitarbeiter gebracht bekommt und dem Wasser das aus der Leitung kommt sehen, da er es achtlos verschwendet. Hierin sehe ich den Mangel Lockes sich in die Sichtweise der Afrikaner einzudenken. Für Locke dient das Leitungswasser ausschließlich zum Waschen in Kombination mit Seife. Das ist in England ein kaum beachteter alltäglicher Vorgang. Das Wasser was aus der Leitung kommt hat keinen besonderen Wert. Hier jedoch mutet sein minutenlanges Verschwenden von dem kostbaren Gut arrogant und unverantwortlich an. Kaum einem Afrikaner käme auf die Idee das Leitungswasser nicht zu trinken, geschweige denn es zu verschwenden. Wenn Locke nicht hinter die einfachsten Unterschiede gekommen ist und sie beachtet, so lässt sich vermuten, dass er einen sehr begrenzten Zugang zum Leben und Denken der Afrikaner hat. Aber er ist dabei einen Film über den Kontinent zu drehen.
Als er sich in der fremden Umgebung findet, blickt er auch auf das eigene Fremde. Er bewegt sich in einer Umgebung die losgelöst von den gewohnten Konventionen funktioniert. Da Locke es nicht schafft sich in die Fremde einzugewöhnen, habe ich den Eindruck dass er sich fremd in seiner eigenen Haut fühlt. Das Eintauchen in eine fremde Kultur kann, wenn man es „richtig“ angeht zur persönlichen Entfaltung beitragen. Man sieht die unterschiedliche Lebensweise in einem fremden Land und beginnt sich zu vergleichen. Die Frage stellt sich „Wer bin ich?“ wenn man erkennt das andere Menschen ganz anders leben und denken. In einer fremden Kultur bemerkt man die Auswirkungen der eigenen Sozialisierung. Und man vermag diese aus gewisser Distanz zu betrachten. Zudem blickt man auf wirtschaftliches und politisches Funktionieren aus einem anderem Blickwinkel. Dies ist allerdings nur dann möglich, wenn man die Kultur in der man sich befindet als fremd aber dennoch als ebenfalls funktionierend ansieht. Ein Gedanke wie das deren Bräuche falsch sind, lassen keinen gleichwertigen Vergleich zu. Läßt man sich allerdings auf einen Vergleich ein, so kann es vorkommen, das man auch Seiten in sich selbst erkennt, die man so zuvor noch nicht erkannte. Andere Dinge die man sein ganzes Leben als selbstverständlich hingenommen werden in ein Licht gerückt, in welchem man kritischer damit umgeht. Kurzum, das Loslösen von den allgemein akzeptierten und für selbstverständlich gehaltenen Werten und Konventionen kann zu einer unglaublichen persönlichen Bereicherung führen. Locke allerdings schlägt einen anderen Weg ein. Er findet keinen Weg zu sich selbst, sondern spürt das Bedürfnis sich von seiner Identität zu distanzieren. Ihm bietet sich eine zufällige Bekanntschaft als Möglichkeit der Flucht an. Frustriert aufgrund mangelndes Zuganges fühlt er sich fasziniert von dem Leben seines Hotelnachbarns, dessen Weltanschauung eine ganz andere ist. Robertson ist sein Name und er findet leicht Zugang zu den Menschen vor Ort. Welch unterschiedliche Sichtweise die beiden auf die afrikanische Kultur haben, zeigt sich in deren Dialog. Roberston empfindet den Anblick der Wüste als wunderschön und bezeichnet es als eine Art von Warten. Später erfahren wir das er damit das Warten der darin lebenden Menschen meinen könnte, die in der Wüste darauf warten politische Veränderungen zu erkämpfen. Locke allerdings kann der Wüste nichts dergleichen abgewinnen und äußert sich dahingehend das er Menschen den Landschaften vorziehe. Robertson sieht allerdings auch die Menschen und nimmt deren Lebensumstände wahr. Er weißt Locke darauf hin das es Menschen gibt die in der Wüste leben. Wohl auch durch die Gespräche mit Robertson, aber vermutlich vor allem aufgrund des Gefangenseins in sich selbst fühlt sich Locke unwohl in seiner Haut. Er möchte aus sich raus. Was ist es was ihn nervt? Später meint er, es sei der erfolgreiche Beruf den er ausübt, das adoptierte Kind und sein Haus. Antonioni gibt dem noch seinen persönlichen Kommentar dazu: Bevor Locke eben erwähnte Gründe aufzählt betont Antonioni die Schnelllebigkeit der Industriegesellschaft indem er mit Hilfe von Reissschwenks vorbeifahrende Autos zeigt, anstelle der beiden sprechenden Hauptfiguren. Die Individuen werden unbedeutsam und verschwinden in der materialistischen und rasanten westlichen Welt. Davor will Locke davonlaufen. Ein möglicher Weg wäre sein Leben zu verändern – es mit neuen Zielen und Wünschen zu bereichern. Jedoch bringt Locke dafür nicht die Kraft auf, sondern er wählt einen anderen Weg: Er versucht sein Leben zu verändern in dem er sein Foto aus dem Reisepass mit dem von seinem verstorbenen Hotelnachbarn austauscht. Die einzige Möglichkeit aus seinem festgefahrenen Leben ein erfülltes Dasein zumachen scheint für ihn die Vortäuschung gestoben zu sein, und in die Identität eines anderen zu schlüpfen, zu sein. Von dem freiheitlichen Lebensstil das er in wenigen Sätzen von Robertson präsentiert bekam, schien Locke sich angezogen gefühlt zu haben. Als sich ihm die Gelegenheit bot, versuchte Locke seine Identität auszutauschen. In dem Moment distanziert sich die Sicht Antonionis auf Locke. Als Locke nachdem er seinen Pass gefälscht hat sich aufmacht um als Roberston nach Europa zu gehen, deutet uns die Kamera einen subjektiven Blick auf das Foto von Mrs Locke an. Wenig später müssen wir feststellen, das es doch nicht der Blick von Locke war. Locke sah sich während wir das Foto anschauten und uns vielleicht dachten, jetzt denkt er an seine Frau und bereut es ein klein wenig, während dessen sah sich Locke ein Buch an. Der (scheinbare) subjektive Blick verführte zu einer Identifikation mit Locke, die sich unmittelbar im Anschluss umkehrt und wir erkennen das wir uns in Locke getäuscht haben. Wenn man will, kann man darin erkennen, das Antonioni uns sagen will: auf die Art wie Locke seine Unzufriedenheit angeht, das ist nicht der richtige Weg.
Ein Film über den Filmemacher
Mit der Überschrift meine ich beides: sowohl Lockes nicht fertiggestellten Dokumentarfilm als auch Antonionis vollendeter Film der jedoch nicht mit dem Schluss endet sondern im Kopf des Zuschauers zu Ende gedacht werden muss oder kann. Zuerst möchte ich aber auf den unfertigen Dokumentarfilm von Locke eingehen. Nach seiner Aussage ist er auch vor seinem Job davon gelaufen. Locke ist (oder war) ein erfolgreicher und anerkannter Filmemacher. Das heißt auch, das er den Erwartungen des Publikums und somit den Erwartungen der Produzenten gerecht wurde. Was für Filme machte Locke? Ich vermag es nicht, über das Lebenswerk von Locke zu erzählen, da der Film ja nur wenige Ausschnitte zeigt. Auf den mir am wichtigsten erscheinenden möchte ich nun eingehen.
Das Gespräch mit dem Medizinmann, welches wir zu Gesicht bekommen, da es Lockes Frau betrachtet, verrät viel über die Herangehensweise Lockes an sein Thema. Der europäische Filmemacher kommt nach Afrika, setzt sich unter eine Plane mit einem angesehen Mitglied der Gesellschaft. Die Fragen die der Reporter stellt entlarven seine eurozentristische Sicht auf die Menschen Afrikas. Er deutet an das er die afrikanischen „Stammessitten“ als rückständig und gar falsch ansieht. Da der Medizinmann mehrere Jahre in Europa war, erwartet Locke, dass er diese ebenso betrachtet. Als Locke diese Erwartung bestätigt haben möchte, beginnt der Medizinmann allerdings das Interview mitzugestalten und Lockes Sicht auf seine Kultur als begrenzt zu entlarven. In dem Moment – als das Gespräch interessant zu werden verspricht – bricht Locke die Aufnahme ab. Es lässt sich vermuten, das er Angst davor hatte sich offenbaren zu müssen, seine distanzierte Stellung hinter der Kamera aufgeben müsste. Der gemeine Zuschauer ist aber auch gar nicht interessiert daran ein Gespräch zu sehen, das von einem afrikanischen Medizinmann geführt wird und wo der weiße Reporter seine gehobene, manipulierende Rolle aufgeben muss. Der Fernsehmarkt bietet kaum Möglichkeiten für derart ethnologische Berichte, und schon gar nicht der kommerzielle Fernsehmarkt. Deutlich wird dies auch bei der Reaktion eines Mitarbeiters (welcher das gesammelte Material zu einem Film verarbeiten will) auf das Interview: Als er sieht das Lockes Frau sich das Gespräch ansieht, wundert er sich gelangweilt darüber, dass sie für etwas derartiges Interesse zeigt. Das Massenpublikum will nicht seinen distanzierten Blick auf die Kulturen Afrikas aufgeben, weil es so erzogen wird, also will es auch kein Produzent finanzieren und darum will es Locke auch nicht herstellen. Dies ist Teil der Erziehung (deutlicher: Manipulierung) in der westlichen Welt: Das Gezielte Festfahren von Ideen. Wir können zwar unterschiedliche Parteien wählen aber im Prinzip dominiert stets die Erhaltung unseres Systems Wirtschaft die Politik. Individuen werden zu Massen zusammengefasst und aufgrund ihrer Wirtschaftlichkeit erzogen. In der Zeit der Kolonialisierung wurden die westlichen Werte und Kulturen als höherwertig eingestuft. Die Weißen waren die Herrenrasse welche die „„Wilden““ ausbeuten durften. Noch heute funktioniert das Weltgeschehen auf diese Art und Weise, nur unter anderen Begriffen und anderen Dimensionen. Wieviele Menschen können sich vorstellen, dass zum Beispiel Äthiopien kulturell reicher und historisch bedeutsamer als Deutschland ist? Wir werden daraufhin ausgebildet, Gläubige zu sein, dass unser System mit all seinen Errungenschaften der Demokratie, Wissenschaft und des Kapitalismus das beste sei. Denn wenn die Masse es nicht glauben würde, bestünde die Gefahr eines Umbruchs – in welche Richtung auch immer. Was wäre, wenn nicht wir die 1. Welt wären und Afrika nicht die sogenannte 3. Welt? Aber zum Glück sind „wir“ es ja die Geld für Entwicklungspolitik und Massenmedien haben. Und zum Glück sind wir es ja die die „3. Welt“ mit einem netten Lächeln ausbeuten können – denn deren Sitten sind ja rückständig. Und somit tun wir ihnen ja nur Gutes, wenn wir sie ihnen nehmen und ihnen statt dessen unsere Werte aufdrücken. Die Mehrheit der Bevölkerung denkt in der Art und Weise, würde es jedoch in anderen Begriffen ausdrücken. Doch zurück zu der Rolle Lockes: Locke arbeitet nach den Regeln des Marktes und unterstützt somit diese Begrenztheit der Ideen. Gleichzeitig ist er aber auch Opfer dieser Gedankenbeeinflussung. Es handelt sich um einen mehr oder weniger gewöhnlicher Bürger der sich in das Kollektiv einzugliedern gelernt hat. Oder anders gesagt jemand der mehr den Erwartungen der anderen entspricht als das er auf sein Inneres Selbst hört oder es erforscht.
Es ist schwierig die Intentionen der Hauptfigur eines Filmes analysieren zu wollen. Mir ist bewusst, dass da auch immer viel vom Interpretierenden selbst hineingesponnen wird, aber da es nach meinen Begriffen ein so klares Bild liefert auch im Kontext der zuvor beschriebenen Filme, möchte ich mich doch ein wenig darauf einlassen. Man möge es mir nachsehen.
Ich behaupte einfach mal, dass Locke im Inneren damit unzufrieden ist, wie er Tag für Tag den Erwartungen seines Produzenten gerecht werden will. Im Laufe der Jahre hat er dessen Erwartungen (die den Erwartungen des Massenpublikums entsprechen) übernommen. Er hat es verlernt seinen persönlichen Zielen und Intentionen nachzugehen. Da Locke auch unzufrieden mit seiner Ehe ist – lässt sich das auch im beschränkten Masse auf sein Privatleben übertragen. Darüber erfahren wir nicht allzu viel, wir wissen wohl aber das es ihn nicht erfüllt, da er ohne mit der Wimper zu zucken es hinter sich lässt. Am Ende des Film erfahren wir zumindest das auch Lockes Frau sich eingestehen muss, ihren wahren Ehemann niemals gekannt zu haben. Fakt ist, das Locke unzufrieden ist. Nahe liegt das er aufgrund von mangelnder Selbstverwirklichung derart gestimmt ist. In meinen Augen suggeriert Antonioni das. Ähnlich wie in den zuvor beschriebenen Filmen behandelt auch Beruf: Reporter die Frage wie der Held damit umgeht. Lockes Entscheidung wird durch einen Zufall begünstigt, wobei man hier nicht unbedingt von Begünstigung sprechen sollte. Der Zufall: sein ähnlich aussehender Hotelnachbar stirbt. Für Locke ist es einfacher seine Identität auszutauschen als sein Leben zu verändern. Er hat sich auf sein Leben festgefahren oder festfahren lassen. Sein Leben bot ihm keine Entfaltungsmöglichkeiten. Antonioni sagt es nie detailliert explizit wie es so weit kommen konnte. Jedoch deutet Locke es an, das es die materialistische Welt in der er lebt ist und das Degenerieren des Individuums in dieser Welt. Bereicherung sieht Locke in Robertson, der der materialistischen Welt scheinbar entfliehen konnte. Ein Globetrotter der nirgends zu Hause ist, und das Leben so nimmt wie es kommt. In diese Rolle will Locke schlüpfen. Doch damit nagelt er bereits seinen Sarg zu. Er strebt die Freiheit an,die er in Roberston gesehen hat und begibt sich damit notgedrungenermassen in eine neue Abhängigkeit: die Rolle Roberston zu spielen. Auch mit dieser Lösung kann er sich nicht wirklich entfalten oder sich selbst sein – denn er lebt immer noch dasselbe Leben – nur das er jetzt davor wegläuft. Wie er es auch dreht und wendet – zu sich findet Locke dadurch nicht. Auf recht dramatische Weise macht er dies in einer Anekdote deutlich: als er über einen Bekannten erzählt der blind war. Die Parallelen zu seiner eigenen Person sind dabei mehr als deutlich: sein Bekannter war 40 Jahre blind, läßt sich dann operieren, kann wieder sehen, erfreut sich an den schönen Farben und erkennt dann das die Welt in Wirklichkeit häßlich ist. Als Reaktion auf diese Erkenntnis schließt er sich in sein Zimmer ein und begeht nach drei Jahren in der Dunkelheit Selbstmord. Locke ebenfalls um die 40 ist mit seinem Leben unglücklich, macht eine Passbildtransfusion, sieht jetzt die Welt wie Robertson (dessen Sicht auf die Welt eine ganz andere ist wie die beiden im Gespräch sich einigten) erfreut sich kurzzeitig an dem Entflohensein aus der Blindheit doch muss dann bald erkennen, das auch Roberston Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen hatte und diese Schwierigkeiten hat er jetzt geerbt. Interessanterweise wird die Schwierigkeit durch verschiedene Regierungen verkörpert und von immer wieder nervenden Polizisten. Der Blinde von dem Locke erzählt starb nach drei Jahren Dunkelheit in seinem Zimmer an Selbstmord. Auch Locke schließt sich am Ende in seinem (Hotel-) Zimmer ein. Eingeschlossen in der Dunkelheit läßt er für sich seine neue junge Freundin, die ebenfalls Umherreisende ist, aus dem Fenster blicken. Er fragt sie nicht sehend zweimal was sie denn da draußen sähe. Und wenig später liegt Locke in seinem Bett und ist tot. Wir wissen nicht genau ob es Selbstmord war oder ob Vertreter der Regierung ihn haben ermorden lassen. Aber wie auch immer – im übertragenen Sinne kann man einen Selbstmord in dem Moment ansiedeln, als Locke seinen verstorbenen Hotelnachbarn in sein Bett legte und ihn als sich ausgab. Zudem finden die Polizisten Locke in ähnlicher Position in welcher Roberston verstarb.
Dramaturgisch endet der Film hier, jedoch sprach ich davon das der Film nicht zu Ende ist, wenn er zu Ende ist. Das ist sicherlich eine Qualität die viele Antonionifilme auszeichnen, aber hier ist es besonders schön inszeniert. Locke ist die Hauptfigur des Filmes. Auch wenn sich die Kameraarbeit an manchen Stellen von ihm distanziert, so liefert Locke doch in weiten Teilen des Films Identifikationsfläche. Darauf geht der Film am Schluss noch mal auf subtile Art und Weise ein. Wir (die Kamera) befinden uns mit Locke in dem eingeschlossenen Hotelzimmer. Das große helle Fenster füllt nahezu die gesamte Kinoleinwand. Das Fenster steht für den Blick nach außen und noch weiter gedacht für das lebhafte außerhalb der Mauern und im Kontext meiner Untersuchung auf das Leben nach individuellen Bedürfnissen. Und das Fenster ist vergittert. Nichts kann nach außen oder von Außen herein. Und Locke ist müde auf das Bett gefallen. Müde vom Davonlaufen – vor der Polizei und vor sich selbst. Seine Freundin, gespielt von Maria Schneider erscheint im Bild. Sie ist nach außen gegangen. Wir sehen sie klein auf der Strasse stehen. Sofort kam mir ihre leichte Lebensart und natürliche Weise das Leben zu genießen in den Sinn, wie sie auf dem Rücksitz des Wagens ihre Arme ausstreckte und den Wind in ihrem Haar spürte. Und Locke liegt auf dem Bett. Wir sehen ihn nicht. Aber wir wissen das er uns (oder genaugenommen der Kamera) sehr nahe ist. Jetzt begibt sich die Kamera auf eine Reise. Wir gehen immer näher zu dem Fenster. Die Gitterstäbe kommen immer näher – und wir lassen Locke hinter uns. Und dann macht die Kamera etwas wunderbares, sie verlässt den Raum durch die engen Gitterstäbe und begibt sich auf die Strasse. Sie verläßt Locke. Sie läßt ihn alleine in seinem Zimmer. Und mit ihr verlassen auch wir unsere Identitätsfigur. Später wissen wir das Locke in diesen Minuten ums Leben kam. Während wir ihn verlassen haben und uns zu Maria Schneider begaben verstarb Locke. Ich kann nicht anders als darin eine Aufforderung Antonionis zu sehen – es nicht wie Locke anzugehen. Sein Leben nicht auf oberflächliche Weise verändern zu wollen. Wir sollen uns vielleicht ein Beispiel an dem Lebensstil welches Maria Schneider suggeriert nehmen. Maria Schneider kann man auch als Alter Ego von Locke begreifen, da sie das auszufüllen scheint, was Locke fehlt: Leichtigkeit, Sorgenlosigkeit und Freiheit. Zudem bekommen wir auch explizite Hinweise zu einer solchen Interpretation: sie besitzt einen Pass mit dem Namen, welchen Locke angenommen hat. Wenn wir nun zum Ende des Films uns von Locke distanzieren, ihn verlassen, dann wenden wir uns nun seiner zweiten Seite zu. Ein jeder Zuschauer kann Teile von der weiblichen als auch von der männlichen Figur benutzen um sich mit selbiger Person zu identifizieren. Somit sind wir beides: Maria Schneider und Locke. Am Ende überwinden wir die Seite in uns, die Locke verkörpert: den Teil der verliert. Und wenn das ein Schritt zu weit sein sollte dann möchte ich doch wenigsten darauf beharren, das Antonioni uns mit Lockes Lebensweg ein abschreckendes Beispiel zeigen wollte.
Die drei untersuchten Spielfilme
Bevor ich mich nun auf den Dokumentarfilm über China einlasse, möchte ich gerne ein kurzes Resümee ziehen. In den drei Spielfilmen Cronaca di un amore,Zabriskie Point und Professione: reporter wird die Beziehung des Individuums zu seinem Kollektiv thematisiert. Diese Beziehung wird in allen drei Filmen als problematisch dargestellt. In Cronaca di un amore und Zabriskie Point scheitert die Liebe zweier Menschen aufgrund der Umstände in denen sie Leben. In beiden Fällen legt die Verführung zum materiellen Denken dem Paare Steine in den Weg. Während Paola in Cronaca di un amore sich dieser Verführung nicht entziehen kann, so schafft Daria dem Konsum den Rücken zu kehren. In Professione: reporter wird die Flucht vor dem festgefahrenen Leben thematisiert. Aus allen drei Filmen ziehe ich die Erkenntnis, das Antonioni den Zuschauer aufklären will über die Zustände in denen sie Leben. Sie dienen zur Bewusstmachung der Auswirkung der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturen. Zum anderen dient das Filmemachen über derartige komplexe Themen sicherlich auch zu einer Art Selbsttherapie. Inwieweit sich der Zuschauer auf Antonionis mögliche Intentionen einlässt hängt von Fall zu Fall ab. Für mich persönlich ist die Beschäftigung mit dem Werk Antonionis immer wieder hilfreich, da die Filme mit mir zu sprechen scheinen. Sie erwecken Gedanken, die ich während und nach dem Film noch zum Ende bringen muss. Und die Gedanken gehen nicht in die Richtung, dass Antonioni ein pessimistisches Weltbild präsentiert. Sondern die Filme fordern im Gegenteil zu Optimismus und Hoffnung auf. Dies läßt sich nicht nur zu den drei untersuchten Filmen sagen, sondern diese Grundstimmung zieht sich meiner Meinung nach durch das gesamte Werk Antonionis. Antonioni erzählt zwar oft von Menschen die scheitern – aus unterschiedlichen Gründen, aber die Wahrnehmung der Filme muss ja nicht zwingend mit dem Gesagten übereinstimmen. Ich für meinen Teil hatte bei allen Antonionifilmen das Gefühl, dass sie Hoffnung geben wollen. Wir sehen zwar Paare die Scheitern oder Menschen die Zerbrechen, jedoch bietet Antonioni immer noch so viel Halt für den Zuschauer, das der sich ein anderes Ende vorstellen kann. Es gibt immer Punkte in dem Leben der Figuren, an denen sie sich hätten anders entscheiden können und anders handeln können. Ich fühle mich von Antonioni aufgerufen mir auch die anderen Ausgänge der Filme in den Sinn zu rufen. Was wäre denn wenn Paola auf ihr Herz gehört und den Pelzmantel abgetan hätte? Ist es nicht vorstellbar, dass sie dann glücklich mit Guido hätte werden könnte? Und was wäre wenn Marc nachdem er das Flugzeug zurückgebracht hat, nicht versucht hätte erneut zu fliehen, sondern sich mit dem Besitzer unterhalten hätte? Wäre es nicht möglich dass er mit Daria noch einmal in der Wüste Frieden gefunden hätte. Oder noch zweimal? Und was wäre wenn Locke im Rahmen seines Lebens Veränderungen angestrebt hätte? Die Figuren wählen oft den Weg der ins Scheitern führt. Dies sehe ich als Aufforderung Antonionis ihnen diesen Weg nicht zu folgen. Stattdessen sollen wir uns deren Fehler bewusst machen und unseren eigenen persönlichen Weg wählen.
Den letzten Film den ich betrachten möchte gilt eine Sonderstellung im Werk Antonionis beizumessen: seinen Dokumentarfilm über China. Hier verlassen wir nun die Ebene in der wir einzelnen fiktiven Figuren auf deren Weg beobachten. In diesem Film blickt Antonioni direkt auf das Kollektiv. Und auch dieser Film läßt sich dazu benutzen Antonionis Blick auf die Beziehung zwischen dem Individuum und der Gesellschaft zu untersuchen.
4.
Da wo alles anders ist – Antonionis China
Sie , die Chinesen bilden die Hauptfiguren seiner Filmnotitzen. Antonioni bildet sich nicht ein, sie erklären zu können. Er will sie beobachten. Beobachtungen in einer Zeit der Veränderungen, in einem Land das Jahrtausende alte Traditionen kennt. Was sind das für Beobachtungen, die uns Antonioni präsentiert? Er betrachtet die Gesichter der Menschen in den Städten und Dörfern. Er betrachtet die Lebensweise der Menschen und bezeichnet sie als so fremd. Unruhe und Hast scheinen den Chinesen fremd zu sein. Zudem betrachtet er den Alltag in denen die Chinesen leben. Ihre Arbeitswelt und den Einfluss der Politik. Immer wieder betont Antonioni wie sehr die Menschen im und für das Kollektiv leben. Fabriken bilden kleine eigenständige Gemeinden: sie beinhalten Schlaf- und Wohnplätze und Kindergärten. In den Schulen wird im Gleichschritt marschiert und die Gemeinschaft durch sportliche Aktivitäten gepflegt. Antonioni interessiert es wie die Menschen in diesen Umständen leben. Wenig Interesse hat er für die großen Sehenswürdigkeiten des Landes oder die Plätze welche historische Begebenheiten präsentiert. Antonioni bleibt ganz nah an den Menschen, beobachtet sie wie sie leben. Zudem stellt er den Bezug immer wieder zu ihrer Umgebung her. Es ist die Sicht eines Italieners auf die Menschen Chinas und ihre Beziehung zu ihrem Umfeld.
Von besonderem Interesse ist dabei der Unterschied zwischen Stadt und Land. Antonioni zeigt ein Dorf in den Bergen Chinas. Laut seinem Kommentar haben die Einwohner hier noch nie Menschen aus dem Westen gesehen. Fasziniert spielt die Kamera mit der Begegnung. Dabei respektiert sie stets ihr Gegenüber. Während dieser Begegnung stellt Antonioni fest, das er es ist, mit seinen seltsamen Bewegungen und der bleichen Haut der fremd ist. Er erkennt sein Eindringen in das Dorf und ist gleichzeitig fasziniert von der Reaktion der Bewohner die sowohl verschreckt als auch freundlich ist. Hier zeigt Antonioni nicht wie die Menschen in dem ländlichen China leben, sondern wie sie darauf reagieren, das ein weißer Filmemacher in ihr Gebiet kommt. Dabei macht er die Annäherung an das soziale Feld transparent. Somit schildert er ein zwischenmenschliches Aufeinandertreffen, wie es nicht alle Tage zu sehen und zu erleben ist.
Von der Stadt Shanghai liefert er völlig anderes Bild. Zwar beobachtet er auch hier die Gesichter der Menschen, jedoch ist die Annäherung zu Ihnen weit distanzierter. Wir sehen Massen die in Bewegung sind und vor allem eines: eine industrialisierte Stadt. In einer Passage zeigt uns Antonioni die Fassade der Stadt: er filmt im Vorbeifahren die Häuserkette und die Strassen. Die Menschen verwischen zu unerkennbaren Schatten in der Stadt. Diese Bilder passen gut zu ähnlichen Bildgestaltungen aus Antonionis Spielfilmen. Gerade zu Beginn von Zabriskie Point findet man eine nahezu identische Kamerafahrt: aus dem Auto von Mark sehen wir die Fassade der Studentenstadt an uns vorbeisausen: Gebäude und vor allem riesige Müllberge die aufgrund der Geschwindigkeit zu einem diffusen Nichts verwischen. Auch in Chung Kuo-Cina baut Antonioni die Entfremdung des Menschen in der Stadt in seinen Film ein. Zudem folgt darauf die Betrachtung eines Industrieparks. Auch hier verschwinden die Menschen innerhalb der großen Maschinen. Wenig später erwähnt Antonioni auf der Ebene des Kommentars, das Shanghai eine Stadt sei, die regelrecht vom ausländischen Kapital erfunden sei. Der Handel mit der Außenwelt habe die Dimensionen des Stadt geprägt.
Neben dem Unterschied zwischen Stadt und Land fasziniert Antonioni vor allem die Erziehung der Menschen. Wir beobachten alle Entwicklungsstufen der Kinder. Wir sehen ein Kind bei einer Geburt, wir beobachten Kinder im jungen Alter in den Kindergärten, wie sehen mehrere Schulen, wir verfolgen Studenten, sehen junge Arbeiter, alte Arbeiter und lernen wie Chinesen mit Verstorbenen umgehen. Thema aller Betrachtungen ist auch die Erziehung zum Leben in der Gemeinschaft. Kinder laufen im Gleichschritt zu ihrer Schule, besingen die rote Revolution im Kindergarten, führen ein Schauspiel auf indem die Jungen den Kampf der Bauern mit Lanzen vorführen, sehen wie Studenten in die ländlichen Kommunen marschieren mit den Schaufeln getragen wie Gewehre. Wir sehen Arbeiter bei ihrer Arbeit die in Massen für die Massen arbeiten. Und immer wieder sehen wir über all den Menschen die sich auf das Leben in der Gemeinschaft vorbereiten oder das Leben in der Gemeinschaft pflegen, Bilder von Mao oder Inschriften welche die Größe Maos preisen. Wir sehen unzählige Fahrräder dicht gedrängt beieinander stehen. Individuen verschwinden in der Menschenmasse. Antonioni bemühte sich dennoch gerade die Gesichter zu zeigen. Immer wieder finden wir Nahaufnahmen von Gesichtern die mit neugierigen Augen die Kamera anblicken. Meist ist das nur ein Gesicht von unzähligen, die um den Menschen im Bild herumstehen, gefilmt mit langer Brennweite. Auch hier in dem Dokumentarfilm beschäftigt sich Antonioni mit dem Verhältnis von Individuum zum Kollektiv. Die Auswahl der letzten Passagen des Films behandeln dieses Verhältnis. Wir sehen den Industriepark von Shanghai, gefolgt von Aufnahmen der Arbeiter die in Massen auf LKWs zu ihrer Arbeit gefahren werden. Wenig später beobachten wir ein (zumindest für das westliche Auge) unwirkliches Bild: mit Hilfe eines Topshots blicken wir auf einen Platz wo sich viele Menschen befinden, die sich alle kaum bewegen. Sie betreiben eine chinesische Variante der Gymnastik. Bizarr mutet das Bild an, wie von Menschen die stillstehen, ähnlich wie Robotern denen der Strom ausgegangen ist. Was auf diese Bilder folgt ist ein Besuch in einer Theateraufführung. Die Schauspieler: Puppen die in einem Orchester Musik spielen. In liebevoller Art und Weise wird das Publikum von nichtlebenden Menschennachbildungen unterhalten. In Verbindung mit dem Kommentar der zuvor unterlegt wurde lassen sich Parallelen zwischen den Chinesen und den Puppen ziehen: Du kannst das Fell des Tigers zeichnen doch nicht seine Knochen. Du kannst das Antlitz eines Menschen zeigen doch nicht sein Herz. Wir sahen in dem Film zwar Figuren die Teile der chinesischen Gesellschaft sind, Menschen die scheinbar ihre Individualität für den Sozialismus opferten, jedoch konnten wir nicht das Herz der Menschen sehen. Wir sahen die Rolle die die Menschen spielen, die Rolle die ihnen von früh an beigebracht wird. Sie lernen in der Schule sich in der Masse zu integrieren, doch einen Blick in deren Inneres wird damit nicht gerecht. Auch in der sozialistischen Gesellschaft zielen die Erziehungspolitik und deren Massnahmen darauf ab, die Masse zu entindividualisieren. Der Mensch muss – ob er nun in China, Italien oder Amerika lebt – einen Teil seiner Individualität opfern um gesellschaftsfähig zu sein. Und gesellschaftsfähig bedeutet von Staat zu Staat etwas anderes. Ebenso bedeutet es innerhalb eines Staates aber in unterschiedlichen Epochen etwas unterschiedliches. Galt über Jahrhunderte der Buddhismus als fester Bestandteil des chinesischen Lebens, so zielt die Politik Chinas zur Zeit der Dreharbeiten darauf ab, dies als antike Kuriosität abzustempeln. Was jedoch in allen Epochen und in allen unterschiedlichen Staaten gleich zusein scheint, ist der Verlust der Individualität des Einzelnen. Wir werden zu Rollenspielern, zu Puppen in einem Theater erzogen. Der darauffolgende Zwiespalt im Inneren eines jeden vollzieht sich bei dem einen bewusster, der andere beachtet ihn kaum und andere wiederum verleugnen ihn ihr Leben lang. Wie unterschiedlich die Menschen damit umgehen, präsentiert uns Antonioni in seinen Filmen.
Den Film Chung Kuo-Cina kann man daher als Rahmen vom Werke Antonionis betrachten. Hier wird uns explizit darauf hingewiesen, wie Menschen in ihr Kollektiv eingewebt werden. Unter der Führung einer Regierung werden die Massen daraufhin ausgebildet, den Werten und Idealen der Regierung zu entsprechen. Diese Entindividualisierung findet auf allen Ebenen der Gesellschaft statt. Nicht nur Lehrer bilden die Menschen dahingehend aus sondern die Menschen auch ihre Mitmenschen. Antonioni beobachtet beispielsweise bei einer Sportveranstaltung ein Mädchen auf den Zuschauerplätzen, welches von ihrer Nachbarin angehalten wird die Sportler ebenso anzufeuern wie es die anderen tun. Wenig später sehen wir über den Zuschauerrängen das Plakat Maos, welches über das Sportfeld zu wachen scheint.
Die Entfremdung des Einzelnen von sich selbst aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Gesellschaft findet sich in nahezu allen Antonionifilmen wieder. Ich habe in meiner Auseinandersetzung 4 Filme ausgewählt. Den Zusammenhang der 4 Filme möchte ich nun abschließend noch einmal kurz zusammenfassen.
5.
Alles noch mal von vorne…
Vor dem Hintergrund der Thematik des Dokumentarfilms Chung Kuo-Cina habe ich drei weitere Filme Antonionis untersucht. Die Thematik stellt die Beziehung zwischen Individuum und Gesellschaft dar. In Chung Kuo-Cina selbst beobachtet Antonioni die Prozesse der Eingliederung in die Gesellschaft. Wir beobachten Erziehungstechniken, Alltagsgeschehen und politische Maßnahmen. Dabei wird immer wieder betont wie sehr die chinesische Gesellschaft auf Gleichschaltung ausgelegt ist. Am Ende des Filmes wird nahegelegt, dass von außen betrachtet der eigene Wille der chinesischen Bürger den von Puppen gleichkommt die durch Stäbe bewegt werden. In den drei Spielfilmen die ich exemplarisch von Antonioni untersucht habe betrachten wir Einzelschicksale von Mitgliedern der Gesellschaft. Und immer beobachten wir dabei den Kampf um die Bewahrung der Individualität des Einzelnen. In zwei der drei Filme schafft es die Hauptfigur nicht, dem Druck der gesellschaftlichen Konventionen Herr zu werden. Wir beobachten ihr Ringen um die Bewahrung der eigenen Persönlichkeit, doch wird ihr ständig Steine in den Weg gelegt.
Antonionis Filme sind (bis auf Blow up) keine kommerziellen Erfolge geworden. Und das ist auch verständlich, denn schließlich sind die Filme nicht so leicht zu verdauen wie die Mainstream Produkte aus Hollywood. Antonionis Filme bilden Wahrnehmungen der Realität ab. Es ist seine Sicht auf die Welt, die er uns erzählt. Und wir verbinden damit unsere Sicht auf die Welt. Wir bekommen kein glückliches Ende geliefert. Wir können nicht erleichtert aus dem Kino gehen, durchatmen und den Film vergessen, da alles noch mal gut gegangen ist. Die Filme Antonionis nehmen die Lebensumstände in denen sie gedreht wurden ernst. Sie geben die Probleme wieder ohne sie zu entdramatisieren. Antonioni zeigt uns seine Sicht auf die Welt und die Menschen die in ihr leben. Was wir damit machen bleibt letzen Endes uns überlassen. Wenn wir uns darauf einlassen und über sie nachdenken, denken wir auch über unser Leben nach, ziehen Parallelen und können somit durch die Filme unsere Leben bereichern. Fehler welche die Protagonisten begehen, werden hinterfragt und vielleicht sogar umgangen. Und wenn wir ganz tief Luft holen, können wir die vereinzelt angesprochenen Fehler sogar verallgemeinern und somit nicht nur den konkreten Fehlern welche die Protagonisten gemacht haben aus dem Wege gehen, sondern einen gänzlichen anderen Weg einschlagen. Und wenn man Antonioni so weit folgt, dann ruft er auf – er ruft auf sich im Inneren gegen das zu wehren, was der Individualität im Wege steht. So manche Erziehungsmassnahme oder allgemein akzeptierte Konvention zu hinterfragen. Was dann bleibt ist ein Weg der von Individualität geprägt wird und letzten Endes auch individuell zufriedenstellender sein kann als der Weg der Masse.
Man kann das Antlitz eines Menschen zeigen, doch nicht sein Herz. Dies beinhaltet auch, das es schwierig ist, sein Herz zu sehen. Denn was man nicht zeigen kann ist auch schwierig zu sehen. Und was man nicht sehen kann, darauf kann man auch nur schwer hören. Antonionis Werk zeichnet sich dadurch aus, dass er zumindest zeigen konnte, was dem Herzen entgegenarbeitet. Denn diese Dinge sind bei näherer Betrachtung sehr wohl sichtbar. Wenn wir bereit sind, dass zu sehen und zu erkennen, nehmen wir dessen Wirkungskraft. Letzten Endes ist es von größerer Bedeutung diese Störfaktoren zu benennen um den Einzelnen zur Individualität zu motivieren, als wenn man einen Helden präsentiert, der es so ohne weiteres schafft in der Gesellschaft individuell zu bleiben. Sehen wir einen Menschen der den Strömungen der Gesellschaft standhalten kann und dabei glücklich und zufrieden ist, identifizieren wir uns mit Freude mit ihm. Diese Identifikation birgt die Gefahr sich sicher zu wägen. Und es birgt die Gefahr, es nicht für notwendig zu halten Kraft aufzubringen um gegen die präsenten Störfaktoren anzugehen. Denn schließlich ist es ja nicht zwingend notwendig um glücklich zu sein – wie wir gesehen haben. Antonionis Filme allerdings schlagen eine andere Richtung ein. Sie zeigen die Störfaktoren und lassen den Zuschauer mit ihnen leiden. Demzufolge bringen sie das Potenzial auf, die Zuschauer unzufrieden mit den gesellschaftlichen Konventionen zu machen. Und diese Unzufriedenheit unterstützt Veränderungen des Bewusstseins. Antonionis Filme können ihren Beitrag dazu leisten, mehr auf das nicht Zeigbahre und schwer erkennbare Herz des Menschen zu hören. Darin liegt die Bedeutung seiner Filme.